Ein Kind ergibt noch keine Familie, aber für 10 Tage ergeben wir mit Lea eine Wandergruppe.
Unterwegs zu den liparischen Inseln vor der Küste Siziliens. Die Anreise ist logistisch komplex, der Flug nach Catania bringt uns an die Ostküste Siziliens, weiter mit dem Bus über die Autobahn zur Nordküste, im Fährhafen Milazzo übersetzen zur Hauptinsel des vulkanischen Archipels "Lipari".
Mit Rucksäcken und Kinderwagen, behängt mit der Stofftasche für sofortigen Babybehelf, Laptop und Kamera und ausreichend Wasserflaschen für 24 Stunden bilden wir wie Maria und Josef eine Art "Auszug aus Ägypten."Doch hinter uns ist niemand her, uns treiben nur die Fahrpläne der Verkehrsunternehmen voran. Die Pausen nutzen wir mit Spielen, Eis essen, Balancieren über Sperrgeländer und Betonpfosten und natürlich niemals ohne dass 4 Augenpaare auf Lea gerichtet sind.
Auch auf Lipari gibt es einen ordentlichen Busfahrplan in dessen Studium wir uns üben. Vier Tage Aufenthalt schenkt uns genügend Zeit, zwischen Leas Schlafens- und Essenszeiten, rund um die 14 km lange, 9 km breite und bis zu 600 m hohe Insel zu wandern. Sarah trägt Lea in einer Trage am Rücken, bergauf ist es anstrengend und heiß, Sarahs T-shirt und Leas Body kleben zusammen.
Pinienbäume, Zypressen und die glatten Eukalyptusbäume säumen die Wege, die halbhohe Macchia umfängt uns mit dem herben Duftgemisch, Pfefferminze, Tymian und Rosmarin, wir kosten die leuchtendroten Früchte des Erdbeerbaums, ihr blasser Geschmack ist enttäuschend. Wir sehen immer auf das Meer und wenn es die Sicht erlaubt, auf eine weitere Insel, oder nur ein Inselchen, Felsnadeln, die sich von der Mutterinsel gelöst haben und deren Kliffe nun vom Meer umspült werden. Das Rauschen der Brandung kann bei starkem Wind bis zum dumpfen Donnergrollen anwachsen.Im Oktober ist das Meer noch warm vom Sommer, die Steine rund und glatt, sie reiben und schlagen bei jeder Welle aneinander. Viele Obsidiane liegen am Strand von Lipari, sie sind unscheinbar, rau und grau, doch schlägt man sie entzwei sehen wir im Inneren ihre glänzend schwarze Oberfläche, in der Hitze des Vulkans geschmolzen wie Glas. Auch der weiße Bimsstein ist am Strand grau geworden, er kann auf dem Wasser tanzen. Lea verschließt einen kleinen Stein fest in ihrer Hand.
Wir füttern Lea mit Worten, wie einen Papagei, sag einmal "Lipari", sie Lippariiii, wie helle Glöckchen klingt das, sag einmal Stromboli, "Stromboliii". Er ist ein Gewichtiger, die touristische Hauptattraktion, seit 3000 Jahren aktiv, Wahnsinn. Er spuckt zuverlässig mehrmals stündlich nur selten bricht er aus wie im Jahre 2003. Er ist am äußersten Rand des Archipels, seine Einzigartigkeit macht die Insel mit dem schwarzen Lavastrand teuer. Das Schnellboot der Gesellschaft "Liberty" bringt uns zu ihm.
Die kleinen Autos am Hafen sind dreirädigen Motorgucci und Elektromobile, Francesco und sein Taxi sind schon in die Jahre gekommenen. Er singt sizilianische Volkslieder, sie mischen sich mit dem Geholpere durch die engen Gassen, l'amuri miu si tu" meine Liebe bist Du. Lea bewegt ihre Hände im Takt und ruft: "nochmal". Ein Schild weist auf unsere Herberge, "La Sole", am Horizont schwach ein Regenbogen. Zwei Tage teilen wir uns ein Fünfbettzimmer, der Stromboli schweißt zusammen.Drei Stunden Aufstieg, eine Stunde am Kraterrand, das Feuer verdeckt vom dichten Nebel, nur das Donnergrollen kündigt die Ausbrüche an, begleitet von einem dunklen "Wumm", Schwefelgeruch und feinem Aschestaub. Nach zweistündigem Abstieg die steilen Aschehänge hinunter, lese ich im Reiseführer dazu: "...und natürlich gibt es immer solche, die nach der Rückkehr "alles ganz easy" fanden." Wie wir uns erschöpft, bei Wind und Regen ins Bett legen hat Lea die erste Hälfte ihres Nachtschlafs hinter sich.
Der Wind hat beständig zugenommen, das Wolkenspiel am Himmel, hell und dunkel, die Weiterfahrt nach Salina, der grünen Insel beginnt wieder im Hafen. Diesmal ist "die Liberty" bis auf den letzten Platz besetzt. Ein Stuart mit Plastiktüten steht breitbeinig hinter den Sitzreihen. Ich sehe überall sorgenvolle Gesichter, gibt's was? Für Leas süßen Schlaf in meinen Armen dämpfe ich das Würgen, während sich das Tragflächenschiff über die hochspritzenden Wellen, auf und nieder bewegt. Ich sehe besser nicht aus dem Fenster unser Schiffchen wird zur Nussschale.
Hände schnallen hoch, Hochkonjunktur für Plastiktüten und Papiertücher. In Panakrea, die älteste der Inseln eine kurze Erholungspause. Weißgesichtige stehen an den offenen Fenstern und atmen die frische Meeresluft tief ein. Nach einer weiteren Stunde über das offene Meer schwanken wir über die feste Betonmole von Santa Maria auf Salina. Wir haben deutlich genug von den Elementen Feuer Wasser und Wind und setzen stark auf das Element Erde. Eine weitere Busfahrt über die Insel erinnert unsere Mägen noch einmal an die letzten beiden Stunden. Aber der Busfahrer und Lea sind gesprächig, er erzählt stolz von dem Inseleigenen Wein Malwasia, die Betonung liegt auf ia. Der Mann ist auch so ein inseleigenes Gewächs, klein und rundlich mit behaarten Armen fährt er uns ganz vorsichtig die Serpentinen hinauf und hinunter. Lea sieht eifrig aus dem Fenster, "Katzee, Hund, Piiep..Roller", auch so ein typisches Inselgefährt. Bis wir in Pollara sind, einem kleinen Ort, ohne Alimentari und einer Bar am Kirchplatz. Im einzigen Hotel nisten wir uns ein.< |
Das Dorf liegt auf einer Hochebene, rundherum erheben sich die alten Kraterwände, die Küste fällt 100 Meter steil zum Meer ab. Auf der Suche nach einem Strand klettern wir hinunter, unten ist eine Absperrung, Achtung Steinschlaggefahr. In der nächsten Bucht sitzen ein paar Leute am abfallenden Ufer, in den Stein sind Höhlen gehauen zum Hereinziehen der Boote. Wildromantisch, Lea fest an der Hand, ein Ausrutscher und sie fällt in die donnernden Arme Poseidons.
Pollara ist der Drehort des in den 90er Jahren entstandenen Films "Il Postino," es ist eine Liebeserklärung an die Poesie, die des großen Dichter Pablo Neruda und des chilienischen Volks. Der Film und die Geschichte hat ausser dem Drehort nichts mit Italien und den liparischen Inseln zu tun. Dennoch das ganze Dorf hat mitgewirkt, der Film ist berühmt geworden und mit ihm Pollara. Jeden Abend bei Sonnenuntergang wird der Film in der Bar am Kirchplatz in italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln gezeigt. Seitdem hält Pollara einen Il Postinaschlaf.Wir unternehmen Ausflüge mit dem öffentlichen Bus, vorne neben dem Fahrer sitzt ein alter Mann, seine Hände und sein Gesicht sind faltig und wettergegerbt, seine Augen sehen freundlich auf Lea, "Salute". Notstand, Leas Windeln sind ausgegangen, wir fahren in den Supermercato nach Malfa, frisch ausgerüstet mit Obst, Wasser belegten Sandwiches wandern wir zu einem schönen Strand. Während Lea schläft ist Zeit zum Lesen. Wie die Schatten lang werden und die Sonne hinter der hohen Küste verschwindet gehen wir wieder hinauf zur Bushaltestelle.
Eine schöne Wanderung führt uns zu einem der Zwillingsberge, auf den Monte Fasso delle Felci. Er hat knapp 1000 Meter und ist der höchste Berg der Inselgruppe. Lea hat solide Bergschühchen an, an den Rastplatzen übt sie Klettern. Doch meist baumeln sie rechts und links aus der Trage. Am Aussichtsplatz ist es windgeschützt, Spinnen haben ihre Netze gespannt, wir können auf die alte Saline von Lingua hinuntersehen, weit draussen liegen die Inseln Filicudi und Alicudi.Am Abreisetag fährt nur ein weiterer Fahrgast mit uns bis zu dem kleinen Fährhafen Rinella. Es ist der alte Mann, "Salute", er scheint sich seine Zeit mit Inselrundfahrten zu vertreiben. In seinem denkwürdigen Alter ist er ein Glücksbringer, ein Maskottchen der Insel. Wie Lea, sie ist unser Maskottchen, sie hat immer gute Laune, außer sie ist hungrig oder die Mama ist zu weit weg.
Der Wind hat sich gelegt, das Meer ist ruhig und zeigt sein unschuldiges glattes Gesicht. Auch in der Fähre sind wir die einzigen Gäste, der Stuart lächelt, fragt nach Leas Namen, und faltet für sie kunstfertig mit den Hochglanzprospekten der Fährgesellschaft einen Stern und eine Pyramide.